Von Reisen nach Russland rät das Außenministerium derzeit ab.
Bolgar ist das Ziel eines Ausflugs, den wir von Kazan in Russland unternehmen. Wir lassen die Kasan Arena und den Kasaner Kreml rasch hinter uns. Was für ein Kontrast! Zwei Stunden dauert die Fahrt über recht gut ausgebaute Straßen durch die Republik Tatarstan. Zweihundert Kilometer sind es etwa von Kazan nach Bolgar. Ist Kazan eine Großstadt mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten, so bringt uns unsere Fahrt nach Bolgar durch flaches Land.

Auf geht’s nach Bolgar an der Wolga
Ruhig geht’s zu auf dem Land in Tatarstan. Kazan ist weit weg. Weniger geographisch, als was die Lebensweise angeht. Größere Orte suchen wir entlang unserer Fahrtstrecke vergebens. Nur ein paar Raststätten und Dörfer unterbrechen den Blick in die weite Landschaft. Ab und zu erhaschen wir in der Ferne einen Blick auf die Wolga.
So lebt sich’s auf dem Land in Tatarstan
Statt großer Städte passieren wir kleine Dörfer. In diesen scheint die Zeit still zu stehen. Es gibt kaum Menschen auf den staubigen Dorfstraßen. Haben wir in Kasan das restaurierte Tatarenviertel gesehen, so erwarten uns hier urige Bauernhäuser. Allerdings leben darin kaum noch junge Leute. Zufällig treffen wir stattdessen eine alte Frau auf einer schlammigen Dorfstraße. Gebeugt ist ihr Rücken. Man merkt ihr an, dass sie ihr Leben lang hart gearbeitet hat. Mit einem bunten Kopftuch und eingepackt in warme Kleider schlurft sie die Straße entlang. Sie kommt gerade zurück von der Feldarbeit. Freundlich lächelt sie uns an und begrüßt uns auf Russisch.

Leider verstehen wir nicht, was sie sagt. Daher versuchen wir, uns mit Händen und Gesten verständlich zu machen. Sie nickt verständnisvoll, und als unsere Deutsch sprechende Begleiterin sich nähert, erzählt sie uns, wie ihr Leben auf dem Land aussieht. Früher habe sie in Kasan gelebt. Seit sie ihre Rente bezieht, könne sie sich das Leben dort nicht mehr leisten. Die Dörfer sind inzwischen Rückzugsorte für Rentner, denen das Leben in der Großstadt zu teuer ist. In ihrem Dorf bessert sie stattdessen ihre Rente mit Erntearbeiten in der landwirtschaftlichen Erzeugergemeinschaft auf. Dafür erhält sie Futtermittel für ihre Tiere und, wenn sie Glück hat, etwas Geld. Ein hartes Leben, meinen wir. Sie lacht jedoch und meint, sie sei zufrieden. Mit einem freundlichen Lächeln verabschiedet sie sich von uns.

Wir setzen unsere Fahrt schließlich fort nach Bolgar in Tatarstan.
Willkommen mit Brot & Salz und Tschak Tschak
Zunächst sehen wir nur ein flaches Gebäude am Ufer der Wolga. In der Ferne ragen einige Türme und Gebäude mit goldenen Kuppeln auf. Und einige Kilometer entfernt entdecken wir schließlich eine Moschee. Dazwischen liegen noch zahlreiche Gebäude unter der Erde, die erst noch ausgegraben werden. Der Wind weht heftig über die weite Landschaft. Er treibt die Wolken in rascher Folge über uns hinweg. Das flache Gebäude entpuppt sich schließlich als Museum, dessen Ausstellungshallen sich über mehrere Stockwerke nach unten erstrecken. Vor dem Eingang erwarten uns zwei junge Frauen in Tracht. Mit Brot und Salz und mit Tschak Tschak (einem süßen Gebäck) heißen sie uns nach russischer und tatarischer Art willkommen. Erst etwas verschämt, aber dann immer mutiger brechen wir Brot von dem uns angebotenen Laib, tauchen es in Salz und genießen es.
Danach fahren wir mit dem Lift hinunter ans Ufer des Flusses. Hier legen die Flusskreuzfahrtschiffe an, die die Wolga entlang fahren. Deren Passagiere können so unmittelbar nach ihrer Ankunft durchs Museum nach oben gehen und sich dabei über die Geschichte dieser Stadt und ihrer Einwohner informieren.

Wer waren die Wolgabulgaren?
Bei den Wolgabulgaren handelt es sich um Turkvölker, die zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert von Süden aus Bulgarien in die Region einwanderten. Trotz ständiger Einfälle von russischen Völkern existierte ihr Reich bis ins 13. Jahrhundert. Sie etablierten sich als wichtige Handelspartner vor allem im Handel mit arabischen Völkern. Nach dem Mongolensturm setzte sich ihre Kultur in der Goldenen Horde und im Khanat Kasan fort.

Das Museum zeigt, wie die Wolgabulgaren lebten und handelten. Prachtvolle Ritterrüstungen zeigen, dass sie ein beachtliches Reitervolk waren. Man erfährt außerdem, wie sie unter dem Einfluss ihrer Handelskontakte zum Islam konvertierten. Es entstanden weitere Städte, darunter auch Kasan. Obwohl sie vor allem in den südlichen Regionen Ackerbau betrieben, tauschten sie bis ins 10. Jahrhundert hinein ihre festen Häuser im Sommer gegen Zelte.

Ab dem 12. Jahrhundert kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit Russen. Gleichzeitig erstarkte das Mongolenreich, bis schließlich Batu Khan Bolgar zerstörte und mit seinen Reitern gegen die Russen in den Krieg zog. Im Zuge dieser Entwicklungen ging das Reich der Wolgabulgaren im Mongolenreich auf. Zur Zeit der Goldenen Horde erholte sich die Region wieder. Vor allem adelige Mongolen ließen sich in Bolgar nieder. Der Ort erlebte seine Blütezeit erst unter der Goldenen Horde. Heute bezeichnen sich die Tschuwaschen sowie die Kazaner Tataren als Nachfahren der Wolgabulgaren.

Bolgar in Tatarstan ist mehr als ein archäologischer und historischer Komplex
Seit 2014 gehören der historische und archäologische Teil Bolgars zum Weltkulturerbe der UNESCO. Es sind erst kleine Teile der Stadt ausgegraben. Die Archäologen arbeiten ständig auf dem Gelände. Bolgar ist jedoch nicht nur wegen seiner Ausgrabungen interessant. Der Ort bietet noch weitere Sehenswürdigkeiten, die neueren Datums sind. Hier kann man gut sehen, wie sich aktuell in Tatarstan Religion entwickelt. Der Islam wird nach langer Unterdrückung wieder gestärkt. Zu sehen ist das an modernen Gebäuden in Bolgar.

Dazu gehört
der Koran Schrein
Darin wird der größte Koran der Welt aufbewahrt. Er erinnert daran, dass Bolgar der Ort war, an dem die Islamisierung Tatarstans begann. Mit seinen 1,5 Metern mal 2 Metern und 800 kg ist er ein beachtliches Werk. Es bedarf mehrerer Männer, die Seiten dieses Korans umzublättern.

Die Weiße Moschee
Neu ist auch die Weiße Moschee. Sie soll an der Stelle errichtet worden sein, wo einst die frühe Moschee der Wolgabulgaren stand. Sehenswert ist sie auf jeden Fall. Mit ihren weißen Minaretten und dem Teich davor erinnert sie unwillkürlich an das Taj Mahal. Besucherbusse stehen Schlange vor der Moschee. Im Inneren ziehen wir unsere Schuhe aus, und ich setze mir eines der obligatorischen Kopftücher auf. Frauen dürfen den Gebetsraum ohne Kopfbedeckung nicht betreten.


Diese beiden islamischen Bauwerke entstehen ähnlich wie die Kul Sharif Moschee in Kazan an Orten, an denen der Islam lange Zeit verschwunden war. Ein Zeichen für einen Moment friedlichen Zusammenlebens dieser beiden Religionen im Laufe der Jahrhunderte.

Tatarisches Museumsdorf
Gleich daneben befindet sich ein tatarisches Museumsdorf mit einer historischen Mühle. Außerdem finden wir hier erneut die bunt verzierten Holzhäuser der Tataren, die wir bereits aus Kazan und von den Dörfern unterwegs kennen. Im Hauptgebäude des Museumsdorfs befindet sich zudem das einzige Restaurant auf dem Museumsgelände von Bolgar. Habt Ihr kein Picknick dabei, bietet sich hier die Möglichkeit zum Mittagessen.

Bolgar ist für Besucher von Tatarstan auf jeden Fall einen Besuch wert. Zeigt es doch, wie sich die verschiedenen Volksgruppen miteinander vermischt haben. Und es vermittelt einen guten Einblick in die aktuelle Lage bezüglich der Tatarstan Religion zwischen Christen und Muslimen.
Entdecke Kasan und Umgebung
Quelle für den Artikel Bolgar – Hauptstadt der Wolgabulgaren und UNESCO Welterbe: Recherchen vor Ort.
Wir bedanken uns bei Visit Tatarstan für die Einladung zu dieser Reise. Unsere Meinung bleibt jedoch unsere eigene.
Text: © Copyright Monika Fuchs, TravelWorldOnline
Fotos © Copyright Monika Fuchs, TravelWorldOnline
Hallo Monika und Petar,
die Reise hört sich sehr spannend und informativ an. Mir gefällt euer Bericht sehr gut, da die geschichtlichen Aspekte immer wieder mit einfliesen und man so ein besseres Gefühl bekommt. Besonders gut gefallen mir die historischen Gebäude mit dem Dekor. Ich hoffe noch einige dieser Berichte bei euch lesen zu können ;)
Liebe Grüße, Kuno
Hallo Kuno,
vielen Dank für Deinen netten Kommentar. Solche Berichte gibt’s sicher noch mehr, denn das ist die Art, wie wir gerne reisen . Viel Spaß auf unserem Blog.
Viele Grüße,
Monika
Liebe Monika, lieber Peter,
ich lese sehr gerne eure Berichte. Auch hier habt ihr eine sehr interessante Reise gemacht. In den Zeiten, als ich Dostojewski und Puschkin entdeckte und sie verschlungen hatte, wollte ich immer nach Russland. Bis jetzt habe ich es immer noch nicht verwirklicht. Doch euer Bericht über Tatarstan erweckt in mir den damaligen Drang, dieses Land zu erkunden. Die weiße Moschee ähnelt tatsächlich etwas dem Taj Mahal.
Liebe Grüße, Selda.
Liebe Selda,
das war auch unsere erste Reise nach Russland. Tatarstan hat uns sehr beeindruckt und auch neugierig gemacht auf andere Regionen in diesem riesigen Land. Wir würden gerne noch mehr davon kennen lernen. Da gibt’s bestimmt noch mehr zu entdecken.
Liebe Grüße,
Monika
Hallo Monika & Petar,
Bolgar – wieder ein Ort, von dem ich zuvor kaum etwas wusste. An der Wolga entlang gibt es ja einige interessante Orte mit reicher Geschichte. Irgendwann schaue ich mir die vielleicht auf die faule Art mit einer Flusskreuzfahrt an. Das Leben an Flüssen hat schon was.
Heftig auch, dass die Alten in die Kleinstädte und Dörfer zurück kehren, weil sie sich das Leben in den Städten nicht leisten können. Das war sicher alles eine interessante Erfahrung in Tatarstan.
Liebe Grüße
Barbara
Hallo Barbara,
es war sehr interessant, etwas über die Völker dieser Region zu erfahren. Hier weiß man ja kaum etwas über sie, weder über ihre Vergangenheit, noch ihr heutiges Leben. Gerade darum ist eine Reise dorthin so ein spannendes Erlebnis.
Liebe Grüße,
Monika
Danke für die wundervollen Impressionen!
Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag!
Sehr gerne. Herzlichen Dank für Deinen Kommentar, liebe Jenny. Auch Dir noch einen schönen Sonntag.