Inseln wie Minister’s Island gibt es nicht viele auf der Welt
Wir stehen am Ende einer Schotterstraße unweit von St. Andrews-by-the-Sea in New Brunswick, die uns durch einen Wald bis ans Ufer der Bay of Fundy gebracht hat. Es ist später Nachmittag, und unser Auto steht auf einer kleinen Kiesfläche, von der aus wir hinüber blicken über die Wasserfläche nach Minister’s Island. Man hatte uns gesagt, dass die Insel nur bei Ebbe mit dem Auto zu erreichen ist, und das wollen wir uns genauer ansehen – vorher und nachher, quasi. Also fahren wir zweimal an die Stelle, von der aus man die Insel erreichen kann: einmal bei Flut und einmal bei Ebbe, um zu sehen, ob das tatsächlich stimmt. Außer uns stehen noch zwei weitere Autos auf dieser Kiesbank. Von deren Besitzern zeigt sich jedoch kein Lebenszeichen. Wahrscheinlich erreicht die Flut diese Stelle nicht. Aber gleich hinter den Warnschildern senkt sich die Bank ab ins Wasser, und es sind keine Anzeichen von einer Straße zu erkennen. Auf der anderen Seite, am uns zugewandten Ufer der Insel können wir eine kleine Hütte erkennen – vermutlich das Kontrollhäuschen für die Zufahrt nach Minister’s Island. Naja, am nächsten Morgen werden wir mehr wissen. Wir kehren zurück in den Ort und sind gespannt, was uns am kommenden Tag erwartet.
Wir wollen nach Minister’s Island, weil dort William van Horne, den man vermutlich nicht zu Unrecht den „Vater der kanadischen Eisenbahn“ nennen kann, sein Sommerhaus besaß. Van Horne ist uns während unserer Kanada Reisen schon des öfteren begegnet, unter anderem hörten wir in Banff von ihm, war er doch eine der treibenden Kräfte hinter dem Bau der Eisenbahnhotels – das Banff Springs Hotel gehört auch dazu – die den frühen Zugreisenden durch Kanada gleich ihre Übernachtungsmöglichkeiten dazu lieferten. Eine äußerst kluge – und lukrative – Geschäftsidee, wie sich herausstellen sollte. Jedenfalls wollten wir mehr über diesen Mann und sein Leben herausfinden, und dafür schien uns sein Lieblingsort eine gute Möglichkeit zu bieten.
Am nächsten Morgen sollten wir gegen 9.00 Uhr den Weg zur Insel mit dem Auto zurücklegen können, so hatte man es uns gesagt. Und so war es. Die „Straße“ nach Minister’s Island entpuppte sich als ein Stück flachen Meeresbodens, das bei Ebbe mehrere Stunden lang trocken gelegt ist, so dass Fahrzeuge auf der holprigen Kiesstrecke die Insel erreichen können. Susan Goertzen, die uns auf der anderen Seite am Inselufer erwartete, erzählte uns, dass dieses Wegstück der natürliche Boden der Bucht sei. Aufgrund der ständigen Gezeitenwechsel sei es unmöglich, den Untergrund per Menschenhand zu bearbeiten, brächten doch Ebbe und Flut ständige Veränderungen mit sich, die man nicht beeinflussen könne.
Auf Minister’s Island gab es nur zwei Bewohner: Reverend Samuel Adams, der 1786 mit seiner Familie hierher auf die Insel zog. Sein kleines Haus steht bis heute kurz oberhalb der Inselküste. Weitaus größer ist jedoch der Besitz von Sir William van Horne, der die Insel kaufte und darauf sein Sommerhaus und weitläufige landwirtschaftliche Nutzgebäude errichtete. Van Horne verbrachte auf der Insel viele Monate seines Lebens zusammen mit seiner Familie. Er war ein sehr vielseitig begabter Mann und echter Selfmademan, der sich nicht nur im Geschäftsleben als Generaldirektor und späterer Präsident der Canadian Pacific Railway bewährte.
Van Horne ließ ein großes Wohngebäude errichten, in dem er mit seiner Familie, seinen Kindern und Enkeln, und gelegentlich auch Freunden, die Sommer verbrachte. Ein wenig kann man heute noch den schöpferischen Geist dieses Mannes spüren, der nicht nur seinen Enkeln kindliche Friese an die Wände ihrer Kinderzimmer malte, sondern auch Landschaftsbilder schuf, die vom erstaunlichem Können dieses Autodidakten zeugen. Leider wurde das Anwesen nach seinem Tod immer mehr dem Verfall überlassen, und erst in den letzten Jahren beginnt die Provinz New Brunswick damit, es wieder zu restaurieren und mit den wenigen Einrichtungsgegenständen, die von der Originalausstattung noch vorhanden sind, wieder einzurichten.
Sehenswert ist das Badehaus, in dem van Horne sich gerne zum Malen zurück zog. Kein Wunder, bietet es doch einen grandiosen Ausblick auf die Bay of Fundy auf der einen Seite und auf St. Andrews-by-the-Sea auf dem Festland auf der anderen Seite. Unterhalb der Klippe, auf der sich das Gebäude befindet, liegt der Gezeitenpool, ein künstlich angelegtes Badebecken, das sich täglich bei Flut mit frischem Meerwasser füllte – eine geniale Konstruktion, die für die Frischwasserzufuhr und die tägliche Reinigung des Pools sorgte, ohne dass dafür Personal vonnöten war. Dies erledigte zweimal täglich der Gezeitenwechsel auf natürliche Weise.
Auch die landwirtschaftlichen Nutzgebäude der van Hornes zeugen vom Erfindungsgeist dieses Mannes: Seine Ideen flossen ein in die Konstruktion der Stallungen genauso wie in die Zucht bestimmter Rinderrassen. Van Horne zeigte großes Interesse an der landwirtschaftlichen Nutzung der Insel. Dies ging sogar soweit, dass er sich per Eisenbahn täglich frisches Gemüse und Obst von Minister’s Island liefern ließ – egal, wo er sich in Kanada gerade aufhielt. Praktisch, wenn einem die Eisenbahnlinie gehört, oder?
So interessant ein Aufenthalt auf Minister’s Island auch ist – eines sollte man nicht vergessen! Die Flut kommt alle paar Stunden und macht die Rückfahrt zum Festland unmöglich. Wir waren drei Stunden auf der Insel unterwegs, bevor uns das heran kommende Wasser dazu zwang, unsere Erkundung abzubrechen. Schade, wir hätten gerne noch mehr über William van Horne und sein Leben erfahren. Ein faszinierender Mann!
In diesem Video könnt Ihr Euch noch einen besseren Überblick über die Attraktionen der Insel verschaffen.
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Quelle: eigene Recherchen vor Ort mit freundlicher Unterstützung von Tourism New Brunswick und der Canadian Tourism Commission
Text: Copyright Monika Fuchs, TravelWorldOnline
Fotos: Copyright Monika Fuchs, TravelWorldOnline